Heute 21-Jähriger kommt ohne Deutschkenntnisse aus Syrien, büffelt die Sprache, ergattert eine Lehrstelle und überzeugt alle
Von Natascha Thölen
QUICKBORN/ELLERAU Khaled Turki hat es geschafft. Der 21-Jährige ist einer von 25 Tischlergesellen im Kreis Pinneberg, die mit der traditionellen der Freisprechung in die Handwerksrolle eingetragen wurden und nun durchstarten können. Das besondere an seiner Geschichte: Der junge Syrer kam vor fünf Jahren in seiner neuen Heimat an und sprach damals kein einziges Wort Deutsch.
Im Dezember 2015 landete er mit seinen Eltern und seinen zwei jüngeren Brüdern in Ellerau. Jetzt, fünf Jahre später, konnte er seine Lehre erfolgreich beenden und wurde von seinem Ausbildungsbetrieb übernommen. Khaled Turkis Vater arbeitet als Paketzusteller, seine Mutter im Altenheim. Der jüngere Bruder Aabed hat gerade seine Zwischenprüfung zum Kfz-Mechatroniker bestanden, und der Jüngste, Zaad, kommt nach den Sommerferien in die dritte Klasse der Ellerauer Grundschule.
Dass sich die Geschichte des jungen Mannes und seiner Familie wie ein Musterbeispiel gelungener Integration liest, liegt an seinem Fleiß, an Zielstrebigkeit und Ehrgeiz. Wesentlich zu dem Erfolg beigetragen hat jedoch auch Helmut Strankmeyer aus dem Willkommens-Team Ellerau (WTE), der die Familie seit ihrer Ankunft in der Krumbekgemeinde betreut. „Ohne die Unterstützung vom Willkommens-Team beziehungsweise von der Familie Strankmeyer wären wir häufig aufgeschmissen gewesen. Wir wussten ganz oft nicht, wie es für uns weitergehen würde, oder wie wir etwas ausfüllen müssen, wie man das überhaupt macht“, sagt Turki.
Und weiter: „Sie haben uns wirklich bei jeder Kleinigkeit geholfen. Sich bei Behörden anzumelden, Termine beim Arzt zu vereinbaren oder mein Fall mit der Ausbildung.“ Im Gespräch berichtet der Ellerauer, wie es dazu kam. Nach erfolgreicher B1-Sprachprüfung als Voraussetzung für eine Berufsausbildung riet Strankmeyer dem jungen Syrer zu einem Betriebspraktikum und ebnete ihm durch seine Kontakte den Weg bei der Tischlerei Spinzig in Quickborn. Auch wenn Inhaber Wolfgang Spinzig es ohnehin als eine humanitäre Verpflichtung ansieht, Menschen aus Kriegsgebieten eine Chance zu geben, räumt er ein, dass Turki ohne die Unterstützung des Willkommens-Teams wohl nicht bei ihm gelandet wäre.
„Das war seine Sprungschanze“, ist sich Spinzig sicher. An das erste Kennenlernen erinnert sich der Tischlermeister so: „Da ist mir ein junger Mann begegnet, der will und Einsatz zeigen möchte. Und das hat er dann auch getan.“ Kurz nach seiner Einstellung bat Spinzig seinen neuen Lehrling, sich bei den Kollegen auf eine ungewöhnliche Weise vorzustellen. Turki sollte seinen Namen und einen Begrüßungssatz in seiner Muttersprache auf einen Flipchart schreiben. Spinzig war wichtig, dass alle seine Mitarbeiter verstehen, dass der junge Mann nicht nur eine neue Sprache, sondern auch neue Buchstaben und das Schreiben in eine andere Richtung lernen musste.
Die Taktik ging auf, Verständnis und Achtung waren das Ergebnis, wie Turki bestätigt: „Auf der Baustelle haben mir alle Kollegen immer gut geholfen.“ Was den angehenden Tischler offenbar in seinem Selbstbewusstsein stärkte, alles zu erfragen, was er nicht verstand. Sogar seine Berufsschullehrerin habe ihn den König der Nachfragen genannt, sagt Turki lachend. Und genau das ist es, was dem Geflüchteten besonders gut in Deutschland gefällt. „Deutsche sind allgemein sehr hilfsbereit. Sie nehmen sich die Zeit, einem alles genau zu erklären. Sie freuen sich, dass ich mich für ihre Sprache interessiere, und helfen immer gern.“
Leider kennt der junge Mann aber auch Vorurteile gegenüber seiner Nationalität. Im Gespräch erläutert Turki, dass er es bedauert, wenn Menschen wegen ihres Migrationshintergrundes mit Kriminellen gleichgesetzt werden. Turkis Hoffnung lautet daher: „Ich wünsche mir, dass es immer weniger Vorurteile gibt und dass die Vorurteile weniger eine Rolle spielen. Man muss Menschen eine Chance geben, so wie Herr Spinzig es mit mir gemacht hat.“ Er sagt das nicht ohne Grund, denn Familie Turki ist derzeit auf der Suche nach einer Wohnung, da sie aus der Behelfsunterkunft der Gemeinde ausziehen muss.
In seinem Privatleben ist Turki in seiner neuen Heimat im Übrigen genauso gut integriert wie bei seiner Arbeit. Regelmäßig trifft er sich mit Freunden. Sie seien eine große Gruppe aus vielen verschiedenen Nationalitäten, weshalb nur Deutsch gesprochen werde. Schon allein aufgrund seines handwerklichen Geschicks habe er in seiner Freizeit auch immer etwas zu tun, wie er sagt. „Ich helfe Freunden oder der Familie, gebe Tipps als Tischler oder fasse einfach kurz mit an.“ Und Turki ist seit vier Jahren glücklich verlobt mit einer deutschen Frau. Mit dem Heiraten will sich das junge Paar allerdings noch Zeit lassen.
Übrigens: Turkis Gesellenstück ist ein Schreibtisch aus geöltem amerikanischen Nussbaum mit beleuchteten Segmenten zwischen den Schubladenelementen.
Dieser Artikel erschien zunächst am 22. Juli 2020 im Quickborner Tagblatt (pdf-Fassung des Artikels). Er wird hier mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin wiedergegeben.
Die nachfolgenden Fotos stammen alle von Frau Natascha Tölen und werden hier mit freundlicher Genehmigung wiedergegeben.